Ein hyggeliger Herbsttag auf Abelines Gaard und eine unvorhergesehene Begegnung

Es gibt kaum etwas wertvolleres als einen gedankenverlorenen Tag, an dem man einfach nur sein kann und sich treiben lässt. Eine dampfende Tasse Kaffee, ein Stück Karottenkuchen und der Blick in die skandinavische Natur. Etwas anderes ist plötzlich gar nicht mehr von Bedeutung.

Dänemark hat – und da wirst du mir sicher zustimmen – eine heilende Wirkung. Wer hier Urlaub macht, findet Ruhe, kommt wieder in den Takt, schläft sich mal richtig aus. Jedes Mal entdecken wir Dänemark-Urlauber diese Energiequelle aufs Neue und jedes Mal, so geht es mir zumindest, nehme ich mir vor, etwas von diesem Gefühl mit in die Heimat zu nehmen. Was soll ich sagen, unser letzter Urlaub auf Jütland ist keine drei Wochen her und mein Kopf ist dieser Tage schon wieder übervoll mit Gedanken. Nicht gut, denke ich mir und nehme euch deshalb mit nach Abelines Gaard. Auf diesem westjütischen Hof ist die Zeit stehen geblieben. Perfekt um für einen Nachmittag allem zu entfliehen.

Es war Sonntag, unser zweiter Tag an der dänischen Nordseeküste. Der Herbst schickte einige Schauer über die Dünen und wir hatten Lust, den Tag mit Tee und Buch auf der Couch zu verbringen. Während des Frühstücks überlegten wir trotzdem, was wir an diesem Tag unternehmen könnten. Plötzlich kam mir Abelines Gaard in den Sinn, ein kleiner Vierseitenhof zwischen Nymindegab und Hvide Sande. In diesem kleinen Museum ist die westjütische Zeit sprichwörtlich stehengeblieben. Außerdem lockten Kaffee und Kuchen, denn an das Museum ist ein kleine Kaffeestube angeschlossen. Das klingt nicht allzu anstrengend und so machten wir uns wenig später auf den Weg zu Abeline – und zu einer wundersamen Begegnung.

Hinter der Tür war es plötzlich 1919

Schon von der Straße aus sieht man den typisch westjütischen Hof, der inzwischen auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Zwischen 1854 und 1871 wurde das Gebäude im Auftrag des Strandvogts Christen Christensen errichtet. Zur damaligen Zeit kam immer mehr Leben auf die schmale Landzunge zwischen Nordsee und Ringkøbingfjord. Insgesamt 169 Familien hatten sich auf der 35 Kilometer langen Holmsland Klit eingerichtet. Erst ein paar Jahre später, 1890 kam Abeline auf den Hof. Sie heiratete den Sohn des Strandvogts und sollte den Rest ihres Lebens hier verbringen.

Tritt man in das wirklich große Museum ein, kann man es irgendwie verstehen. Küche, Wohnräume und Alkoven laden zum entdecken und träumen ein. Auf dem Esstisch steht die Suppenterrine, in den Fenstern stehen Blumen. Man erwartet beinahe, dass Abeline bald den Raum betritt und uns an den Tisch bittet. Etwas anderes wird allerdings auch klar: das Leben damals war sicher nicht wahnsinnig opulent. Dabei hatten es die Menschen hier schon recht gut, was an einem schlimmen Unglück lag.

Eine der größten Strandungen vor der Küste Westjütlands

Es war der 12. Februar 1894 als das Segelschiff Elisabeth Rickmers in einen schweren Sturm geriet. Gerade so passierten Schiff und Besatzung das Horns Rev, doch vor der Küste von Holmsland ging ein letzter Rettungsversuch des Kapitäns schief. Ein hastig gesetzter Anker riss und das Schiff aus Bremerhaven wurde von den Wellen an den Strand getragen. Die Rettung der Besatzung war so ein recht unspektakuläres Unterfangen und alle 19 Seeleute fanden zunächst auf Abelines Gaard Unterschlupf.

Ein altes Gesetz besagte, dass Strandgut dem dänischen Staat gehörte und so eilten schnell Auktionatoren und andere Herrschaften herbei. Die meisten kamen bei Christensen auf Abelines Gaard unter, schliefen und speisten hier und bescherten dem Strandvogt so gute Einnahmen. Nicht zuletzt gingen auch ein paar wertvolle Gegenstände in den Besitz des Hausherren über. Kein Wunder, dass noch heute das echte Namensschild des großen Segelschiffes über der Scheunenpforte zu sehen ist.

Auf Abelines Gaard war es sicher nie langweilig

So wandelten wir also durch einen großen Stall, die Schlafräume des Knechts und den kargen Hauswirtschaftsraum, als draußen weitere Schauer auf das Reetdach prasselten. Draußen ist meist nur wenige Schritte entfernt. Viele Türen führen direkt nach draußen – entweder in den Innenhof oder auf die Wiesen, die den Hof umgeben.

Ich denke darüber nach, wie nah die Menschen an der Natur lebten. Oder mit der Natur? Klar, die Arbeit auf den Höfen, die Rettung in Seenot geratener Seeleute und das raue Wetter an der Nordsee waren sicher nicht ohne. Trotzdem oder gerade deshalb verströmen die Räume auf dem Hof eine unglaubliche Gemütlichkeit. Nach getaner Arbeit setzten sich Strandvogt, Knecht und die Damen des Hauses sicher zu ein paar æbleskiver und etwas Tee, während ein Herbststurm über die Landzunge fegte.

Da auf dem Hof oft Besuch untergebracht war, wurden sicher auch viele Geschichten von Seenot, fremden Ländern und den neusten Moden aus København erzählt. Nicht zuletzt war es Abeline selbst, die auch als Schnittstelle zum Rest des Landes wirkte. Sie betreute nämlich eine Telefonanlage, die 1895 in einer der Stuben installiert worden war. Wie gern würde ich nur für einen Tag Abelines Gast sein und das Leben hier vor über 100 Jahren erleben.

Als kämen die Bewohner gleich wieder

Es sind die vielen Einrichtungsgegenstände und Bilder, die das Museum in Abelines Gaard so wunderschön machen. Während unseres Streifzuges durch die Räume bleiben wir immer wieder stehen, staunen über schickes Porzellan, die kurzen Betten und mustern die Menschen, die auf den alten Fotografien zu sehen sind. Überall ist Geschichte zum Anfassen und so sind wir längst im Jahr 1919 angekommen.

Kaffee, Kuchen und ein Überaschungsgast

Beseelt erreichen wir die feinste Stube des Hauses, hier wurden früher wichtige Gäste empfangen und untergebracht. Heute ist hier die bereits erwähnte Kaffeestube. Wir suchen uns einen kleinen Tisch direkt am Fenster und dürfen uns von einem Tisch Tassen und eine Kanne Kaffee nehmen. Wenig später bringt uns eine Museumsmitarbeiterin Karottenkuchen und eine mit Butter beschmiertes rundstykke.

Es ist wahnsinnig gemütlich und wir unterhalten uns über das schöne Leben. Nebenan sitzt eine große Gruppe Dänen, das Gelächter steckt förmlich an. Immer wieder schauen wir nach draußen, auf die wunderschöne Landschaft zwischen Fjord und Nordsee. „Das ist so hyggelig“, sage ich in bester dänischer Manier. Schließlich darf man es nie verpassen, die hyggelige Situation als solche zu benennen. Bevor ich uns noch eine Tassee Kaffee einschenken will, drehe ich kurz die Untertasse um und denke: „Das gibt’s doch nicht. Das Service kommt aus Eisenberg, meinem Heimatort.“

Tatsache! Jäger-Porzellan Eisenberg ist auf dem blauen Stempel zu lesen. Was für ein Zufall. Nicht nur, dass ausgerechnet diese Tassen und Teller den Weg hier her gefunden haben. Ich muss gleich an meinen Großvater denken, der einst in dieser Fabrik gearbeitet hat und den ich heute oft vermisse. Doch irgendwie zaubert mir das ein Lächeln ins Gesicht. Vielleicht ist diese Entdeckung ein kleiner Gruß meines Opas.

Besuche Abelines Gaard

Öffnungszeiten (April bis Oktober)
Sonntag bis Freitag 11-16 Uhr (Juli – August 11-17 Uhr)

Eintrittspreise
Erwachsene 70 DKK (9,40 Euro)
Kinder in Begleitung Erwachsener frei
Kaffee und Kuchen kosten einen kleinen Aufschlag

Internetseite von Abelines Gaard

Chris

Wind in den Haaren, ein Softice in der Hand und die Gischt im Gesicht, glücklicher kann ich kaum sein. Deshalb blogge ich hier auch über meine Leidenschaft - über Dänemark. Kultur, dänische Gerichte, Urlaubstipps und viel mehr findest du auf diesem kleinen Stück Dänemark im Internet. Außerdem begrüße ich in meinen Podcasts regelmäßig Menschen und schnacke mit ihnen über das Königreich. Ich hoffe, dass dich klitly genauso glücklich macht, wie mich.

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2 Gedanken zu “Ein hyggeliger Herbsttag auf Abelines Gaard und eine unvorhergesehene Begegnung

  1. Hallo Chris,
    vielen Dank für den interessanten und informativen Bericht und die schönen Bilder. Wir fahren schon seit 30 Jahren an den Ringköbing Fjord, aber Abelines Gaard ist uns leider noch nie aufgefallen. Wir werden es auf jeden Fall besuchen.

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