Immer, wenn es mir zu viel wird, sehne ich mich besonders stark nach der dänischen Nordseeküste. Wind, Dünen und Wasser. Sonst nichts. Das hilft mir herunterzukommen und macht mich glücklich. Genauso geht es vielen anderen Dänemark Freundinnen und Freunden. Egal ob Stress im Beruf, Ärger mit dem Nachbarn oder handfeste Schicksalsschläge.
Ob nun Bornholm, Djursland oder Jammerbucht, Dänemark scheint wie ein Seelenpflaster zu sein. Viele Menschen sehnen sich nach dem Meer und dessen Wirkung auf uns. Nicht umsonst werden sogar T-Shirts mit den Worten „Ich brauche keine Therapie, ich muss nur nach Dänemark“ bedruckt. Zugegeben gibt es die auch mit Kroatien, Italien, Schottland, Frankreich, Schweden und so weiter. Aber auch hier gibt es überall Meer.
Das Wasser spült alles Übel weg
Es gibt Studien, die die positive Wirkung der Natur auf uns bestätigen. Wöchentlich zwei Stunden im Wald, Park oder auf der grünen Wiese würden unserem körperlichen Wohlbefinden, aber auch unserer Psyche gut tun. Woran das genau liegt, hat die Studie der Universität Exter nicht geklärt. Klar, Wald und Wiese gehören zu Dänemark sicherlich auch dazu. Am stärksten ist wohl die Faszination fürs „große Wasser“. Jeder genießt das Meer anders. Manche unternehmen täglich ausgiebige Strandspaziergänge, andere setzen sich auf die Mole im nächsten Hafenort, blicken raus auf die Wellen und wieder andere wagen sich nach draußen, mit dem Boot, dem Surfbrett oder schwimmend.
„Es gab schon in der Antike den Gedanken, dass das Meer alles Übel wegspült“, erklärt der Psychologe Florian Schmid-Höhne. „Im 18. Jahrhundert kamen dann Kuren auf, zu denen man die Adeligen oder Stadtbewohner ans Meer schickte, um Melancholie zu lindern.“ Schmid-Höhne arbeitet selbst mit gestressten Menschen und fährt mit ihnen immer ans Meer. „Es ist die Beschaffenheit des Meeres. Die Weite beispielsweise wirkt beruhigend auf uns und unsere Augen.“ Es sei der Gegenentwurf zu den vielen Informationen, denen wir im Alltag oft ausgesetzt sind oder uns ganz freiwillig aussetzen.
Jüngster Stressfaktor ist das Smartphone. Durchschnittlich 88 Mal schauen wir täglich auf das Handy, lesen private Nachrichten, die Schlagzeilen des Tages, klicken uns durch Facebook, Instagram oder die Mails. Nur um es noch einmal zu sagen: durchschnittlich 88 Mal! Dazu kommt der Lärm des Alltags, Radio, Fernsehen, Straßenverkehr, Beruf, Familie und Freunde. Wenn wir dann einmal Ruhe haben, stürmt es aber im Kopf weiter. Kein Wunder, dass die meisten Menschen maximal gestresst sind.
Wir versprechen uns etwas vom Meer
Das Meer sei das komplette Gegenteil zu unserem überladenen Alltag, meint der Psychologe. Hier gibt es nur das Wasser, Sand, Natur. Keine (künstliche) Aufregung, keinen Lärm von Autos. Wenn man so will, hat man hier die Möglichkeit, sich ungestört selbst zu begegnen. Nicht selten schieben sich dann die großen Fragen des Lebens in den Sinn. Mute ich mir im Beruf zu viel zu? Sollte ich nochmal über den Streit mit einem Freund nachdenken? Durch den räumlichen und emotionalen Abstand zum Alltag, kann man „in Ruhe mal auf sein Leben und seine Situation schauen und sich überlegen, wo kann ich jetzt ansetzen, wo liegen die Probleme und was kann ich verändern“, so Schmid-Höhne. Auch neue Wege und Möglichkeiten zu entdecken, kann befreiend sein. Sinnfragen müssen am Meer natürlich nicht aufkommen. Es passiert hier nur häufiger.
Wir Menschen fühlen uns einfach zum Wasser hingezogen. In unserer modernen Gesellschaft lässt sich das auch leicht beobachten. Die meisten Parkanlagen haben zumindest einen Teich oder Springbrunnen, Immobilienpreise steigen, wenn sie einen Blick aufs Wasser erlauben. Das macht sich natürlich auch bei den Ferienhäusern in Dänemark bemerkbar. „Dass wir bereitwillig für den Blick aufs Wasser mehr bezahlen, legt nahe, dass wir uns davon einen Gewinn versprechen“, schreibt die Umweltpsychologin Dr. Deborah Cracknell in ihrem Buch „Die Kraft des Meeres“. Das Versprechen ist Erholung und Wohlbefinden. Beim Wasser handle es sich um ein Element, welches wir gleichermaßen faszinierend wie ästhetisch finden. Studien haben sogar herausgefunden, dass wir Landschaften mit Wasser anderen Landschaften vorziehen – und das tun sowohl Erwachsene, als auch Kinder.
Blaugrünes Wasser und rauschende Wellen
Das Meer entfaltet auf vielen Ebenen eine heilende, beruhigende Wirkung. Schon durch die Farbe des Wassers. Grün oder Blau wirken sehr entspannend auf uns. „Und dann ist es auch dieses gleichmäßige Rauschen“, so Schmid-Höhne. „Tiefenpsychologisch gesehen könnte es uns an die Zeit im Mutterleib erinnern.“ Diese Verbindung aus dem Rauschen und dem Herzschlag der Mutter – das Gleichmäßige – soll bei uns auch ein Gefühl von Geborgenheit und Ruhe auslösen können.
Genauso gut kann das große Wasser auch ein Gefühl von Ehrfurcht auslösen. Wir erkennen am Meer, dass es Dinge gibt, die viel größer sind als wir selbst. Diese Erkenntnis kann unglaublich beruhigend sein, Druck nehmen. Angesichts dieser Weite und Unermesslichkeit könnten Probleme auch richtig klein erscheinen. „Bei Manchen löst das sogar religiöse Gefühle aus“, sagt der Psychologe. In der Romantik sei das Meer ein ganz wichtiger Ort gewesen. Das Gefühl eins zu werden mit der Natur, da liege sicher auch viel Ehrfurcht drin.
Das Meer ist, was du draus machst
Interessanterweise kann das Meer auch ganz gegensätzliche Gefühle hervorrufen: Angst und Furcht. „Das ist das Ambivalente und Paradoxe am Meer, dass es auf der einen Seite positive Gefühle auslöst, aber auf der anderen Seite Angst und etwas Bedrohliches sein kann“, so Schmid-Höhne. Die großen Wellen, die Tiefe des Meeres, das Unwissen, was sich darin befindet – das ruft bei einigen Menschen großes Unbehagen hervor. Es kommt also auf unsere Einstellung an, ob uns das Meer gut tut oder nicht.
Das ist auch die zentrale Aussage einer Studie, die Florian Schmid-Höhne vor ein paar Jahren durchgeführt hat: „Dass das Meer wirklich ein Bedeutungsraum ist, den wir selbst mit Bedeutungen füllen. Je nach unseren eigenen Erfahrungen, aber natürlich auch unserer historischen und sozialen Prägung.“ Ein Vergleich: Im Mittelalter hatten die Menschen unglaublich große Angst vor dem Meer. Ist damals ein Wal gestrandet, dann war das im Verständnis der Leute ein Ungeheuer, was da am Strand lag. Heute ist das Bild vom Meer weitestgehend positiv geprägt. In der Werbung, Kunst, in Geschichten oder den Medien wird es meist sehr positiv dargestellt. Wer die Sommerferien als Kind schon immer mit den Eltern am Meer in Dänemark verbracht hat, besitzt außerdem viele positive Verknüpfungen und Erinnerungen mit dem Meer. Diese leben bei jedem Besuch wieder auf.
Ähnlich ist das bei Bergliebhabern. Sie sind in ihrer Kindheit eher in die Berge gefahren und verknüpfen deshalb positive Gefühle eher damit. Es gibt allerdings einen großen Unterschied, auf den Schmid-Höhne hinweist: „Das Meer bewegt sich und ist in ständiger Bewegung. Die Berge sind eher starr. Dadurch kann das Meer psychologisch gesehen auch mehr in einem anstoßen.“
Wie lässt sich das Meer am besten genießen?
Übung:
Nimm das Meer
mit allen Sinnen wahr.
Ich habe Florian Schmid-Höhne noch nach einem Tipp danach gefragt, wie ein jeder das Meer am besten erleben kann. Er hat dazu eine Wahrnehmungsübung vorgeschlagen, die ich dir jetzt zusammenfassen möchte:
Gehe an einen Strandabschnitt, an dem du weitestgehend für dich sein kannst. Das sollte abseits der großen Feriengebiete und vor allem nach der Saison in Dänemark nicht besonders schwer sein. Stelle dich auf die Düne oder an den Strand und atme erst einmal tief durch. Gehe dann mit den Augen den Horizont entlang und schau dir die verschiedenen Färbungen des Wassers an. Schließe nun deine Augen und höre auf die Geräusche – das Rauschen, die Wellen und Möwen. Spüre dann den Wind, der dir durch die Haare fährt oder spüre den Sand unter deinen Füßen. Lasse dir für alles viel Zeit. Atme tief ein und gehe in dich: was kannst du riechen? Ist die Luft frisch und unverbraucht? Fahre noch mit der Zunge über deine Lippen. Sind sie vom Meerwasser ganz salzig geworden? Versuche zum Abschluss noch einmal, alle Sinneseindrücke gemeinsam wahr zu nehmen. Aber keine Sorge, wenn dir das nicht so gut gelingt.
Damit kann der nächste Dänemark-Urlaub hoffentlich bald kommen. Schließlich ist’s ja auch was für die Gesundheit.
Ich glaube, wir müssen unbedingt ans Meer! 😓