Den Gamle By – eine dänische Zeitreise in Aarhus

Es gibt einen Ort in Dänemark, an dem du dich in der Gemütlichkeit der vergangenen Tage sprichwörtlich verlieren kannst. Es ist ein wenig gammeldags in Den Gamle By – also altmodisch – aber in einer sehr angenehmen und wirklich atmosphärischen Art.

Den Gamle By heißt so viel wie Altstadt und ist ein großes Freilichtmuseum mitten in Aarhus. Es erzählt die Geschichte der dänischen Städte in drei Epochen – die vorindustrielle Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert, die moderne Zeit der 1920er Jahre und jene der Wohlfahrtsgesellschaft in den 1970ern.

Triff die Bewohner der Altstadt

Die Witwe des Pfarrers: Eine Darstellerin strickt während Besucher ihre Wohnung erkunden können

Besucherinnen und Besucher sollen die Geschichte in Den Gamle By erleben können. Sie können das Museumsgelände frei erkunden und treffen hier und da auf die Bewohner der Stadt. So begrüßt die Witwe des Pfarrers die Gäste schon nach wenigen Metern gern mal höchstpersönlich und erkundigt sich gleich, woher die Fremden denn stammen. Häufig lacht sie dann laut und meint, dass das ja eine sehr lange Reise mit der Kutsche gewesen sein muss.

Anschließend geht sie in ihre Wohnung, setzt sich auf einen Stuhl und fängt an zu stricken, während ihr ein paar Gäste folgen und die Wohnung inspizieren können. Von der Wohnstube, in der auch geschlafen wird, geht es hin zur Küche mit ihrem Fenster zum Hinterhof.

In Den Gamle By ist alles echt

Das Besondere ist, dass es sich hier nicht um Kulissen handelt. „Alle Häuser, die in Den Gamle By stehen, haben wir von anderen Orten hier her verlegt, also aus verschiedenen dänischen Städten“, sagt Martin Brandt Djupdræt, Chefkurator des Museums. Das heißt, dass Stein für Stein abgetragen und im Museum neu aufgebaut wurde. Ein Fachwerkhaus zu versetzen ist wie ein Puzzle, so der Kurator. Dafür seien die Hölzer und Steine langsam abgebaut und nummeriert worden, um sie auf dem Museumsgelände in der Richtigen Reihenfolge wieder zusammenfügen zu können. Die Wände modernerer Häuser wurden beispielsweise vor dem Transport nach Aarhus in drei mal drei Meter große Stücke zerlegt.

ℹ️ Im Magazin (eine Museumslager) von Den Gamle By befinden sich noch weitere Häuser, die bei Bedarf wieder aufgebaut werden können.

Hausarbeit gehört auch zur Arbeit der Darstellerinnen und Darsteller im Museum.

Echt sind auch die Düfte, die durch Den Gamle By ziehen. Wenn Gäste dem Geruch frisch gebackener Pfannkuchen folgen, stoßen sie unter Umständen auf eine Magd, die in der niedrigen Küche eines Fachwerkhauses am mit Feuer beheizten Herd steht. Mit einem herzlichen „Goddag, kommen ind!“ bittet sie die neugierigen Besucher herein – notfalls auch auf Englisch. Dann schneidet sie den frisch gebackenen Pfannkuchen in kleine Stücken, schmiert etwas Blaubeermarmelade darauf und bietet sie dem Überraschungsbesuch zum Probieren an. Genascht wurde schon im 18. Jahrhundert.

Hübsche Szenen in der Altstadt: Ein Darsteller spielt Mundharmonika am Kanal
Eine ganze Gruppe von Mädchen und Jungen schlendern in Tracht durch die Gassen

Dokumente und Pigmentreste: auf den Spuren der Zeit

Die Liebe fürs Details ist im ganzen Freilichtmuseum zu spüren – gerade auch im Inneren der zahlreichen Gebäude. Denn während die Mauern und Dächer ab- und wiederaufgebaut wurden, gab es nicht immer eine Einrichtung für die Räume dazu. Was nicht mehr erhalten war, wurde möglichst detailgetreu ersetzt. Dabei orientierte sich das Team von Den Gamle By häufig an Originaldokumenten aus der jeweiligen Zeit, sagt Chefkurator Brandt Djupdræt. Dafür hätten beispielsweise Verträge von Hausratsversicherungen gedient, die Inventarlisten ganzer Wohnungen enthielten. Speziell ausgebildete Farbkonservatoren untersuchen, welche Farben zur jeweiligen Zeit verwendet wurden, um sie möglichst originalgetreu an die Wände der wiedererrichteten Häuser zu bringen.

In einer altertümlichen Bäckerei können Besucher typisch dänisches Gebäck erwerben

Je länger ein Besucher durch die Straßen von Den Gamle By schlendert, umso eher vergisst er oder sie die Welt vor den Toren des Museums. So schlendern die Gäste durch die Straßen, vorbei an Schaufenstern von Seifengeschäften, Apotheken oder Bäckereien. In diesem Museum ist mitmachen ausdrücklich erwünscht und so ist jeder eingeladen, die Geschäfte zu betreten und in der Bäckerei der Vorfahren süße Teilchen zu kaufen. Backfrisch versteht sich. Die Verkäuferin aus dem 19. Jahrhundert akzeptiert sogar Dänische Kronen und MobilePay, das moderne dänische Handy-Bezahlsystem. Praktisch.

Eine Zeitmaschine zu Fuß

Hinter vielen Fassaden verbergen sich kleine Ausstellungen, Werkstätten und neue Abenteuer

Die Zeit vor 1900 macht flächenmäßig den größten Teil von Den Gamle By aus. Doch auch die 1920er Jahre belegen immerhin ein kleines Viertel aus. Der Zeitsprung wird schnell sichtbar: An Leitungen, die sich von Strommast zu Strommast schwingen, am Pflaster der Straßen und am Autohaus am Ende der Straße, in denen Karossen aus der damaligen Zeit auf Besucher warten.

Im Hinterzimmer des Seifenladens ist auch noch die Telefonzentrale des kleinen Ortes untergebracht. Hier zeigen engagierte Technikerinnen, wie Telefonverbindungen zu seiner Zeit noch per Hand gesteckt werden mussten. Nach einer praktischen Präsentation der Fernsprecheinrichtung ging es durch den gut duftenden Seifenshop wieder nach draußen. Auch hinter den anderen Fassaden der 1920er Jahre verbergen sich kleine Schätze wie ein Briefmarkenmuseum mit allen dänischen Weihnachtsbriefmarken der letzten Jahrzehnte oder eine Spielzeugausstellung.

Die Zeit der Hippies, Studentenbewegungen und des Käfers

Eine Fassade die einer Häuserfront in Helsingør nachempfunden ist

Die 1920er Jahre sind eine Brücke in das dänische Stadtleben der 1970er – und doch verbindet dieser Bereich das vorindustrielle Zeitalter des Mangels mit der Zeit der Wohlfahrtsgesellschaft, in der die Geschäfte voll waren und sich neue Probleme ergeben haben. Das können Besucher in einem ganzen Eckhaus erleben, in dem nahezu jede Wohnung und jedes Geschäft besucht werden kann.

Hinter den Wohnungstüren warten die Geschichten der Bewohner. Mal ist es eine Studenten-WG die gegen die Widrigkeiten der Zeit kämpft, mal die Wohnung eines alleinstehenden blinden Mannes oder die Praxis eines Frauenarztes, in dem die Abtreibungsfrage gestellt wird. Damals in Dänemark heiß diskutiert.

Innen, außen – einfach überall 70er

Auch hier: Die Liebe zum Details. Nichts ist hier zufällig so, wie es ist. Ein Kinderzimmer voll mit Spielsachen aus der damaligen Zeit. Wer in den Kühlschrank einer der 1970er-Jahre-Wohnungen schaut, findet hier sogar Lebensmittelpackungen die aussehen wie damals.

„Das war sehr viel Arbeit und glücklicherweise hatten wir viele gute Leute die uns geholfen haben, alles zu finden“, sagt Brandt Djupdræt über die Beschaffung von Möbeln, Gegenständen und Accessoires. Die Lebensmittelverpackungen seien beispielsweise keine Originale mehr, weil die Farben von den echten Packungen verblasst oder sie unansehnlich geworden sind. Deshalb haben die Museumsmitarbeiter die Verpackungen gescannt, die Farben rekonstruiert und die Etiketten mit den damaligen Techniken auf möglichst vergleichbare Materialien gedruckt.

Ein VW-Käfer steht auf dem Hinterhof

Demenzprojekt: Begegnungen mit der eigenen Vergangenheit

Im 70er-Jahre-Bereich von Den Gamle By gibt es noch ein besonderes Projekt. Regelmäßig besuchen an Demenz erkrankte Menschen das Museum und tauchen ein in ihre eigene Vergangenheit. „Man hat die originalen Dinge, Gerüche und Atmosphäre“, sagt der Chefkurator. Die besonderen Besucher erinnern sich am besten an ihre Jugendzeit. „Wenn sie kommen sind sie sehr still und introvertiert. Dann kommt eine Kollegin in der Kleidung der Zeit mit Kaffee und Kuchen und bittet um Hilfe“, sagt Brandt Djupdræt. Schon würden die Damen beginnen zu helfen, dann trinken alle gemeinsam Kaffee und das Eis bricht. Sie sprechen miteinander und singen – von Demenz würde man dann nichts mehr spüren.

ℹ️ Das Haus der Erinnerung – so der Name des Projekts – ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Eine Shopping-Zeitreise beim Kaufmann: hier gibt es Produkte von damals

Es braucht einen Tag für zwei Jahrhunderte

Den Gamle By hat noch viel mehr zu bieten, als in diesem Artikel Platz hat. Zum Beispiel einen umfangreichen Kräutergärten, Restaurants, Möbelausstellungen und alte Trachten, zahlreiche Handwerker, ein Plakatmuseum, den Plattenladen „Pouls Radio“ und ein riesiges Stadtmuseum von Aarhus. Du solltest dir viel Zeit nehmen für deinen Besuch um die Atmosphäre der alten Zeiten aufsaugen zu können.

🎧 Erfahre mehr über Den Gamle By in klitly – Der kleine Dänemark-Podcast. Im Gespräch ist Museumskurator Martin Brandt Djupdræt.

Weitere Informationen über das Freilichtmuseum findest du in dänisch und englisch auf der Internetseite von Den Gamle By. Die meisten Darsteller sind ab dem Frühjahr in der Stadt unterwegs. Im Dezember gibt es in Den Gamle By einen großen Weihnachtsmarkt.

Chris

Wind in den Haaren, ein Softice in der Hand und die Gischt im Gesicht, glücklicher kann ich kaum sein. Deshalb blogge ich hier auch über meine Leidenschaft - über Dänemark. Kultur, dänische Gerichte, Urlaubstipps und viel mehr findest du auf diesem kleinen Stück Dänemark im Internet. Außerdem begrüße ich in meinen Podcasts regelmäßig Menschen und schnacke mit ihnen über das Königreich. Ich hoffe, dass dich klitly genauso glücklich macht, wie mich.

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