Die Dänen tun etwas, was immer weniger Menschen tun: Sie vertrauen – und zwar auch Fremden. Sie stellen Kinderwagen mit schlafenden Babys vor das Café, sie verkaufen Obst, Gemüse und Honig in Selbstbedienung am Straßenrand und lassen ihr Auto nicht selten unverschlossen auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt stehen – im Sommer sogar mit geöffnetem Fenster.
Die Dänen sind Weltmeister im Vertrauen. Das zeigen Untersuchungen wie die der World Values Survey, bei der weltweit untersucht wird, welche Werte und Überzeugungen die Menschen haben. Drei von vier der befragten Däninnen und Dänen sagt, dass man den meisten Menschen im Allgemeinen vertrauen kann. Nur jeder Vierte meinte, dass man eher vorsichtig sein müsse. Zum Vergleich: In Deutschland vertrauen rund 45 Prozent der Menschen anderen, in Italien sind es nur 27 Prozent.
Das wirklich Bemerkenswerte an der Studie: Die Dänen vertrauen nicht nur Familie, Freunde und Nachbarn. Sie schenken auch Menschen Vertrauen, denen sie zum ersten Mal begegnen. 75 Prozent der Befragten spricht von starkem oder einem Grundvertrauen.
Vertrauen, bis die Polizei kommt
Dieses tiefe Vertrauen ist Anette Sørensen Habel im Jahr 1997 zum zwischenzeitlichen Verhängnis geworden. Die Dänin reiste mit ihrer 14 Jahre alten Tochter nach New York. Beim Essengehen stellte die junge Mutter den Kinderwagen mit ihrer schlafenden Tochter direkt vor dem Restaurant ab. Vom Tisch aus hatte sie einen guten Blick auf ihre Tochter. Genau so hätte es Anette auch in Dänemark gemacht – und dort hätte das auch wirklich niemanden gestört.
Doch in New York standen schon kurz drauf Polizisten neben dem Kinderwagen. Die Frau wurde festgenommen, weil sie ihre Tochter vernachlässigt haben soll. Sie wurde für einen Tag inhaftiert und hat ihre Tochter erst quälende vier Tage später wieder bekommen. Dieser Fall hat damals weltweites Interesse erregt. Ein Sinnbild dafür, wie tief verwurzelt das Vertrauen bei den Dänen ist. Aber leider auch dafür, dass das in anderen Ländern alles andere als selbstverständlich ist.
Die traditionelle Freiwilligenarbeit schweißt zusammen
Doch warum sind die Dänen anderen Menschen gegenüber so zutraulich? Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Zunächst einmal ist Dänemark mit 5,8 Millionen Einwohnern ein verhältnismäßig kleines Land. Mehr Menschen haben direkte oder indirekte Verbindungen zueinander, was das Vertrauen in die Gesellschaft stärkt. Das ist mir auf besondere Art und Weise bei einem Besuch im Bovbjerg Fyr bewusst geworden, einem kleinen Leuchtturm an der dänischen Westküste nahe Lemvig.
Hier habe ich Kirsten getroffen, eine gebürtige Dänin. Sie engagiert sich freiwillig im Leuchtturm – genauso wie 150 weitere Menschen aus der Region. Sie organisieren Feste, halten den kleinen roten Leuchtturm in Schuss und kümmern sich um die Besucherinnen und Besucher. Schon wenn man den Leuchtturm betritt, spürt man dieses heimelige Gefühl. In der Küche wuseln die Freiwilligen, es wird erzählt und das Klimpern des Geschirrs wird immer wieder von lautem Lachen unterbrochen.
Kirsten ist vor 17 Jahren von Kopenhagen aus in die eher ländliche Region gezogen. Doch die in Dänemark sehr weit verbreitete Freiwilligenarbeit hat sie mit den Menschen hier vernetzt – und das Vertrauen gestärkt: „Für mich bedeutet es, wenn ich hier in der Gegend rumgehe kenne ich jetzt Leute und kann überall den Zusammenhalt spüren“, sagt Kirsten. „Man winkt einander, man lächelt, man fühlt – das ist mein Heim hier. Und das ist bedeutungsvoll.“ Man sei stolz auf Bovbjerg Fyr und freue sich über Gäste von nah und fern.
Diese Freiwilligenarbeit, aber auch Nachbarschaftsprojekte und die Mitgliedschaft in Sportvereinen sind bei den Dänen sehr weit verbreitet. Sie stärken das soziale Zugehörigkeitsgefühl und damit auch das gegenseitige Vertrauen.
Gleich und gleich vertraut sich gern
Hinzu kommt die kollektive Mentalität der Dänen. In diesem Zusammenhang fällt gern der Begriff des Jantelov – des Gesetzes von Jante. Letzteres ist eine fiktive Kleinstadt, über die der dänisch-norwegische Autor Aksel Sandemoses im Jahr 1933 geschrieben hat. Und zwar nicht nur positiv – besagen die ungeschriebenen Gesetze dort nämlich, dass niemand etwas Besonderes ist und jeder genau soviel Wert wie jeweils der andere. Klingt nach einer guten Idee. Doch sie wurde auch stark kritisiert, weil sie Eigenständigkeit und Individualität untergräbt. Für den Einzelnen könne das wirklich problematisch werden.
Inzwischen lebt man aber eine moderne Interpretation dieses Jantelovs. Der Grundgedanke blieb: Du bist nichts besseres, als die anderen. Im Alltag bedeutet das, dass jeder den anderen respektiert und auf Augenhöhe begegnet. Unabhängig von Besitz oder dem Beruf. Das trägt zum Grundvertrauen bei, weil es den sozialen Geltungsdrang aufhebt. (Nichtsdestotrotz darf man stolz sein auf das, was man erreicht hat. Allerdings geht man mit diesem Stolz etwas bescheidener um und prahlt nicht.)
Der dänische Staat trägt auch beim Einkommen dazu bei, dass die Dänen möglichst gleich sind – und zwar durch Sozialleistungen. Zwar unterscheidet sich der Lohn, den die Menschen bekommen nach Berufsgruppe schon deutlich voneinander. Allerdings gleichen Sozialleistungen die so genannte Einkommensungleichheit aus. Das bedeutet, dass Wohngeld, Sozialhilfe und Co. die Unterschiede zwischen Gut- und Geringverdienern minimieren und das Einkommen so umverteilt wird. Damit liegt Dänemark im europäischen Vergleich zwar nicht auf den Spitzenpositionen, aber trotzdem ziemlich weit vor. Die finanzielle Angleichung schafft damit ein bisschen mehr Gerechtigkeit und Vertrauen in den dänischen Sozialstaat.
Die Dänen verlassen sich auf das System
Du hast vielleicht auch schon davon gehört, dass Dänemark komplett digitalisiert ist. Offizielle Post kommt ins digitale Postfach, Patientenakten werden über das Internet ausgetauscht und die Daten zu jedem Auto sind über das Nummernschild digital einsehbar. So manchem Ausländer treibt es da einen kalten Datenschutz-Schauer über den Rücken. Doch für die allermeisten Dänen ist das absolut kein Problem. Sie vertrauen öffentlichen Institutionen und der Verwaltung – und das aus guten Gründen.
Nirgendwo gibt es so wenig Korruption wie in Dänemark. Im Korruptions-Wahrnehmungs-Index von Transparancy International führt das Land die Liste der am wenigstens korrupten Länder an. Und auch die Organisation Freedom House, die jährlich die Freiheit von Nationen bewertet, bescheinigt Dänemark mit 97 von 100 Punkten eine Spitzenposition. Open House schreibt, dass die Arbeit der dänischen Regierung transparent ist (das gilt zwar auch für Deutschland, allerdings erschwere hier eine überbordende Bürokratie diese Transparenz).
Zuletzt – das soll nicht unerwähnt bleiben – ist das Misstrauen in die Politik gestiegen. Im Jahr 2019 gaben zehn Prozent der Dänen an, sehr wenig Vertrauen in Politiker zu haben. Im Jahr 2023 waren es schon 22 Prozent. Die Studienmacher vom Thinktank Institut for vilde problemer können nichts über die Ursachen sagen. Sie sehen aber Zusammenhänge mit der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft, in der es immer schwieriger wird, Veränderungen zu bewirken.
Droht der Titelverlust?
„Vertrauen ist […] eine unübertroffene Supermacht und ein Superkleber in unserem Gesellschaftsmodell“, schreibt der Politikwissenschaftler Michael Bang Petersen in einem Gastbeitrag für die Zeitung Politiken. Das soziale Vertrauen sei ein relativ junges Phänomen – denn im Jahr 1980 lag das Vertrauen in Dänemark auf dem gleichen Niveau, wie das soziale Vertrauen in den USA.
Das Vertrauen in die Politik sei jedoch zuletzt unter Druck geraten – und dafür lohne es sich zu kämpfen. Schließlich sind „Länder mit einem hohen Maß an Vertrauen zwischen den Bürgern und zwischen Bürgern und Behörden einfach reicher, freier und glücklicher“. Und nur so behält man auch den Weltmeistertitel im Vertrauen.
Im Moment gibt es tatsächlich einige Aufsehen erregende Vorkommnisse, die das Vertrauen der Dänen in „die Politik“ heftig erschüttern. Zum Beispiel die Geschehnisse in der Kanzlei der Anwältin Amira Smajic, die zum Teil in der Dokumentation „Den sorte svane“ aufgerollt werden.
Auch bei dem Drama um „Nordic Waste“ bei Ølst bleibt etwas Dreck auch bei der genehmigenden Kommune und anderer Beteiligter Politiker hängen.
Eine Schlagzeile wie „Bølge af tyverier i biler“ und viele Schilder an Parkplätzen bei beliebten Sehenswürdigkeiten, die empfehlen nichts von Wert im Auto zu lassen oder es zumindest nicht sichtbar zu lagern, trüben das romantische Bild etwas.
Wie schade!
Ich wünsche Dänemark, dass es die Grundhaltung des Vertrauens und das Jantelov weiterhin behält!
Vermutlich ist das ein Grund warum Dänemark mit seinen Bewohnern für uns so sympathisch ist!
Held og lykke Danmark ❤️🇩🇰
Hej Chris , hast Du schon vom Tillidssalg ( Vertrauenverkauf ) gehört ? In verschiedene Städte in Dk werden Klamotten, Schuhe, Taschen etc vor die Wohnung am Bürgersteig zum Verkauf angeboten , es ist die Nummer für Mobilpay dabei , Du kannst Dir das Teil aussuchen und mitnehmen was Dir gefällt und zahlst eben den Preis mit Mobilpay . Es ist zwar nicht überall so beliebt aber die Dänen zwicken eben ein Auge zu 🙂
Kærligst
Dorte