Viele Dänen stellen am Abend des 4. Mai eine Kerze ins Fenster. Eine Kerze als Zeichen der Zuversicht und Hoffnung. Es ist bis heute ein Zeichen gegen Krieg und Unterdrückung, die Dänemark während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatte. Inzwischen ist die Kerze im Fenster aber auch ein Kampf gegen das Vergessen geworden. Schon vor vielen Jahren beklagte die dänische Autorin Lise Nørgaard in einem Interview mit dem dänischen Rundfunk, dass sich immer weniger Dänen an diesem Brauch beteiligen. „Für uns, die den Tag damals miterlebten, hat er eine große Bedeutung“, erklärt Nørgaard. „Wir können uns an die Freude erinnern, nach fünf Jahren wieder befreit zu sein.“
In diesem Sinne möchte ich an diesen besonderen Tag in der dänischen Geschichte erinnern. Schließlich ist dieses Ereignis auch fest mit unserer eigenen Geschichte verbunden.
Düstere Zeiten der dänischen Geschichte
Es war der Abend des 4. Mai 1945. Die Dänen hielten ihre Häuser und Wohnungen verdunkelt, damit kein Licht nach draußen dringt. Es war eine Versicherung, um möglichen Bombenangriffen zu entgehen. Die Lage im Land verschlechterte sich. Seit etwas mehr als fünf Jahren war Dänemark schon von deutschen Truppen besetzt. In der Zwischenzeit ist die dänische Regierung zurückgetreten und tausende Dänen mussten in Zwangsarbeit tausende Wehrmachtsbunker an der Westküste errichten. Die Deutschen zogen zudem Rohstoffe und Lebensmittel aus Dänemark ab, zurück blieben Warenknappheit und Rationierung.
Immerhin gelang es den Dänen im Jahr 1943, einen Großteil der dänische Juden vor der Deportation zu retten. Ein deutscher Diplomat soll Hinweise über eine bevorstehende Verschleppung in deutsche Konzentrationslager gegeben haben. Mit Schiffen wurden über 7.000 Menschen ins schwedische Exil gebracht. Rund 500 dänische Juden gerieten trotzdem in die Fänge der Nationalsozialisten und wurden deportiert, wobei ein Großteil von ihnen den Krieg überlebte.
Es gab auch innerhalb Dänemarks Widerstand und zahlreiche Freiheitskämpfer, die die deutschen Truppen sabotierten. Doch die Strafen wurden im Laufe der Jahre drakonisch. Wurden sie erwischt, wurden sie in der Regel hingerichtet.
„Hier ist London, die BBC sendet nach Dänemark“
Es war also der Abend des 4. Mai 1945, an dem sich die dänischen Familien um ihre Radios versammelten. Sie warteten darauf, was der Däne Johannes G. Sørensen zu sagen hatte. Er war Nachrichtensprecher und saß in einem Londoner BBC-Studio um Kriegsnachrichten in seiner Landessprache auszustrahlen.
Die Sendung begann um 20:35 Uhr wie immer mit einer Eingangsmelodie. Es folgten Nachrichten:
- Alliierte Streitkräfte seien auf dem Weg nach Jütland.
- Es gibt Hinweise darauf, dass die Briten Verhandlungen mit Deutschland führen.
- In der letzten Nacht gab es Kämpfe auf den Straßen von Kopenhagen um die deutschen Kasernen herum.
Plötzlich wurde Sørensen stumm und für einige Sekunden war nur Rauschen und Summen zu hören. Was die Menschen vor den Radios nun zu hören bekamen, konnten sie nicht ahnen:
In diesem Moment wird bekannt gegeben, dass sich die deutschen Truppen in Holland, Nordwestdeutschland und in Dänemark ergeben haben. Hier ist London. Wir wiederholen: der britische Feldmarschall Montgomery hat in diesem Moment angekündigt, dass sich die deutschen Truppen in den Niederlanden, Nordwestdeutschland und Dänemark ergeben haben.
Die kriegsmüden Dänen rannten auf die Straße, feierten mit Familie, Freunden und Nachbarn. Endlich wurde ihnen die Hoffnung gegeben, dass die Gräuel ein Ende finden. Zur Vollständigkeit muss erwähnt werden, dass das nicht für die Insel Bornholm galt, die noch bis zum 5. April 1946 von der Sowjetunion besetzt blieb.
Freiheit ist ein kostbares, nicht selbstverständliches Gut
Nachdem die Befreiung Dänemarks über das Radio bekannt gegeben wurde, rissen viele Menschen die Verdunklungsrollos und Bretter von ihren Fenstern. Sie taten genau das, was ihnen jahrelang verboten war. Sie stellten Kerzen in die Fenster um die Nacht zu erhellen. Nach jahrelanger Dunkelheit leuchteten die dänischen Städte wieder.
Jene, die die Besetzung und die Befreiung miterlebt haben, machten die Kerze im Fenster zu einer Tradition. Fortan zündeten sie, wie viele andere Dänen auch, zum Jahrestag eine Kerze im Fenster an. „Die Hauptbotschaft sollte sein, dass die eigene Freiheit nicht selbstverständlich ist“, erklärte die Autorin Lise Nørgaard dem DR.
In diesem Zusammenhang finde ich den dänischen Ausdruck für eine brennende Kerze besonders passend. Die Dänen sprechen dann von levende lys, was sich mit einem lebenden Licht, einer lebenden Kerze übersetzen lässt. Übrigens stammt auch die dänische Weihnachtstradition der Kalenderlys aus der Besatzungszeit. Ein Zeichen, wie wichtig den Menschen Zuversicht und Hoffnung waren.