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Die Hygge-Formel: Warum macht der dänische Lebensstil so glücklich?

Hygge – das kleine dänische Wort, das sich so schwer übersetzen lässt. Für mich ist es der Moment, wenn ich im Sommerurlaub jeden Abend an den Strand gehe, um den Sonnenuntergang zu sehen. Der warme Sand unter den Füßen, die letzten Sonnenstrahlen auf der Haut, während der Himmel in tiefem Orange leuchtet. Ein festes Ritual bei dem ich abschalten kann.

Hygge ist für mich aber auch der dänische Winter. Jedes Jahr verbringe ich mit Freunden ein paar Tage im Ferienhaus an der Nordseeküste. Die Tage sind kurz, draußen pfeift der Wind über die Dünen, während drinnen der Kamin knistert. Wir unternehmen lange Spaziergänge und kehren mit roten Wangen zurück ins Ferienhaus. Abends wird gemeinsam gekocht, gespielt, gelacht. Kerzen tauchen das Wohnzimmer in warmes Licht. Es geht nicht um große Erlebnisse, sondern um das Miteinander, um das Gefühl von Geborgenheit.

Aber warum fühlt sich das eigentlich so gut an? Warum ist es genau dieses Gefühl, das Dänemark laut Studien zu einem der glücklichsten Länder der Welt macht? Und lässt sich Hygge vielleicht sogar wissenschaftlich erklären?

Warum sind die Dänen so glücklich?

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Jedes Jahr taucht Dänemark in den Schlagzeilen auf – als eines der glücklichsten Länder der Welt. Laut World Happiness Report – einer weltweiten Studie zur Lebenszufriedenheit – liegen die Dänen immer in den Top 3. Doch was macht ihr Leben so viel glücklicher als das in anderen Ländern?

Ein entscheidender Faktor dafür sind die intensiven Kontakte, die die meisten Dänen pflegen. Freundschaften aus der Schulzeit oder aus dem Studium überdauern oft bis ins hohe Alter. Genauso hat die Familie einen sehr hohen Stellenwert. Das sorgt für eine enge soziale Verbundenheit. Das Happiness Research Institute in Kopenhagen beschreibt soziale Interaktionen als eine der stärksten Gründe für empfundenes Glück. Das deckt sich mit Erkenntnissen aus der positiven Psychologie: Gemeinsame Zeit mit Freunden oder Familie fördert das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit. Das Stresslevel sinkt und das Wohlbefinden steigt.

Ein weiterer Aspekt ist die Work-Life-Balance. Dänen haben eine andere Arbeitskultur als viele andere Länder: Ihre Arbeit ist oft besser planbar, weil sie von klar geregelten Arbeitszeiten, hoher Eigenverantwortung und flexiblen Arbeitsmodellen profitieren. Überstunden sind in der Regel unüblich und es wird erwartet, dass man seine Aufgaben innerhalb der regulären Arbeitszeit effizient erledigt. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verbringen Dänen dadurch mehr Zeit mit Freizeitaktivitäten und Familie – nicht weil sie grundsätzlich weniger arbeiten, sondern weil ihre Arbeit besser in ihr Leben integriert ist. Der bewusste Fokus auf Entspannung und Gemeinschaft spielt eine zentrale Rolle in der dänischen Kultur – und damit auch in der „Wissenschaft hinter Hygge“.

Doch es gibt noch andere psychologische und neurologische Mechanismen, die für das Hygge-Gefühl verantwortlich sind.

Die Psychologie hinter Hygge: Warum fühlt es sich so gut an?

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Hygge gehört zum dänischen Alltag und ist ein traditionelles Konzept. Im Wortursprung geht es bei Hygge darum, etwas zu hegen und Wohlbefinden zu verbreiten. Man kann sich auch selbst hyggen, indem man sich etwas Gutes tut. Wichtig ist dabei immer, dass das Erlebnis bei der Hygge im Mittelpunkt steht. Das Handy sollte dann auch mal im Flur liegen bleiben. Außerdem wendet man sich bewusst positiven Dingen zu – und verschiebt unangenehme Themen auf später. Wenn man es sich hyggelig machen will, wird zum Beispiel nicht über Politik gesprochen.

Auch wenn es so klingt, als gäbe es feste Hygge-Regeln, liegt es den Dänen eher im Blut, es sich hyggelig zu machen. Allerdings machen diese Regeln tiefer liegende Mechanismen bewusst. Denn eine Reihe psychologischer und neurologischer Effekte führt dazu, dass das Konzept Hygge tatsächlich zu einem entspannteren und erfüllterem Leben führt.

Und das funktioniert so:

1. Oxytocin – Das „Kuschelhormon“

Hygge bedeutet ja auch, Zeit mit Menschen zu verbringen, die wir mögen und die uns gut tun. Wichtig ist, eine warme und angenehme Umgebung, in der man sich geborgen fühlen kann. Sind wir mit vertrauten Menschen zusammen, dann schüttet unser Gehirn das Hormon Oxytocin aus. Das reduziert nachweislich Stress, stärkt das Gefühl von Verbundenheit und kann sogar den Blutdruck senken.

Studien zeigen sogar, dass Menschen, die häufiger Zeit mit Freunden und Familie in entspannter Atmosphäre verbringen, tendenziell glücklicher und gesünder sind. Außerdem führt das Hormon dazu, dass man soziale Aktivitäten positiver wahrnimmt und sie als bereichernder empfindet.

2. Stressreduktion durch Rituale

Bei der Hygge geht es auch um wiederkehrende Rituale. Das gemeinsame Abendessen, der Spieleabend am Wochenende, der Spaziergang nach Feierabend oder das Lesen vor dem Schlafengehen. Rituale geben unserem Gehirn ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit. Studien zeigen, dass Rituale unser Stress-Erleben signifikant reduzieren, da sie eine Vorhersehbarkeit in unseren Alltag bringen.

Rituale helfen sogar dabei, das autonome Nervensystem ins Gleichgewicht zu bringen. Der Teil des Nervensystems der für Ruhe und Entspannung zuständig ist, wird durch regelmäßige Routinen gestärkt. Gerade in stressigen Zeiten können hyggelige Rituale also helfen, den Körper bewusst in einen entspannten Zustand zu versetzen.

3. Licht und Wärme – Die biologische Wirkung auf unser Wohlbefinden

Gemütlichkeit spielt eine wichtige Rolle bei der Hygge. Kerzen sind deshalb ein wichtiges Utensil und wenn ein Kamin in der Nähe ist – umso besser! Das warme Licht, das dabei entsteht hat einen direkten Einfluss auf unsere innere Uhr und unser Wohlbefinden. Studien zeigen, dass warmes, gedämpftes Licht von Kerzen oder Kamin die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin weniger hemmt als kaltes, blaues Licht.

Das zeigen auch Forschungen zur Lichtpsychologie. Indirekte, warme Lichtquellen reduzieren Stress und schaffen eine beruhigende Atmosphäre. Während grelles, weißes Licht eher mit Wachheit assoziiert wird, hat gedämpftes, sanftes Licht eine entspannende Wirkung und kann den Übergang in den Schlaf erleichtern.

4. Minimalismus und Achtsamkeit

Hygge setzt auf einfache und bewusste Erlebnisse, was sich mit Prinzipien der Mindfulness (Achtsamkeit) deckt. Wissenschaftler der Harvard University haben herausgefunden, dass achtsame Menschen nachweislich glücklicher sind, weil sie sich stärker auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren und weniger von Sorgen geplagt werden.

Besonders in unserer modernen, oft hektischen Welt kann bewusstes Erleben als eine Art Gegenpol zur Reizüberflutung gesehen werden. Wer sich für hyggelige Momente Zeit nimmt – ohne Ablenkung durch Smartphones oder digitale Geräte – trainiert seine Fähigkeit zur achtsamen Wahrnehmung.

5. Warum sich Hygge auch körperlich gut anfühlt

Hygge ist nicht nur eine emotionale oder soziale Erfahrung, sondern auch eine körperliche. Weiche Stoffe, warme Getränke, der Duft von Zimt oder das knisternde Geräusch eines Kaminfeuers – all das spricht unsere Sinne an und trägt zur Entspannung bei.

Forschungen zeigen, dass Berührungen von angenehmen Materialien wie Wolle, Holz oder Leinen eine beruhigende Wirkung auf unseren Körper haben. Ähnlich ist es auch mit warmen Getränken wie Tee oder Kakao oder auch Düften wie Zimt, Holz oder frischer Luft. Sie werden häufig auch mit positiven Erinnerungen assoziiert und verstärken damit das Gefühl der Geborgenheit.

Fazit: Ist Hygge das Geheimnis zum Glück?

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Die Wissenschaft zeigt klar: Hygge ist mehr als nur eine gemütliche Atmosphäre – es ist ein Lebensstil, der nachweislich das Wohlbefinden steigert. Es geht darum, sich bewusst Zeit für sich und andere zu nehmen, die kleinen Momente zu genießen und eine Umgebung zu schaffen, die Geborgenheit vermittelt.

Die psychologischen und biologischen Mechanismen hinter der Hygge sind gut erforscht – Gemeinschaft, Rituale, Entspannung, Achtsamkeit und Glücksgefühle. Kein Wunder, dass Dänemark Jahr für Jahr zu den glücklichsten Ländern der Welt zählt.

Doch das Beste an Hygge ist: Sie ist für jeden zugänglich. Man braucht weder ein skandinavisches Zuhause noch einen perfekten Kaminabend – es reicht, wenn man sich kleine hyggelige Momente im Alltag schafft: Ein gemütliches Frühstück mit Zeit und Ruhe, anstatt in Eile zu essen. Ein bewusster Spaziergang in der Natur, bei dem man die Umgebung wirklich wahrnimmt. Ein Abend mit Freunden, ohne die Ablenkung durch Handys.

Hygge erinnert uns daran, dass Glück nicht in großen Ereignissen liegt, sondern ganz bewusst in den kleinen Dingen des Lebens. Vielleicht ist genau das das Geheimnis dänischer Lebensfreude.

➡️ Und wenn doch mal etwas schiefgeht? Die Dänen haben auch dafür einen Plan: Pyt – ein kleines Wort mit großer Wirkung, das hilft, Ärger loszulassen.

Chris

Wind in den Haaren, ein Softice in der Hand und die Gischt im Gesicht, glücklicher kann ich kaum sein. Deshalb blogge ich hier auch über meine Leidenschaft - über Dänemark. Kultur, dänische Gerichte, Urlaubstipps und viel mehr findest du auf diesem kleinen Stück Dänemark im Internet. Außerdem begrüße ich in meinen Podcasts regelmäßig Menschen und schnacke mit ihnen über das Königreich. Ich hoffe, dass dich klitly genauso glücklich macht, wie mich.

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